Ich hatte meinen vergangenen Monat schon so schön verplant. Die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung meines ersten Romans, Jenseits von Halleluja. Gäste aus den USA beherbergen. Fit werden (zugegebenermaßen ein Projekt, das den Monat sprengen würde). Die erste Überarbeitung meines zweiten Romans abschließen.
Wie immer packte ich Aktivitäten für zwei Monate in die Zeit eines Monats. Und anstelle all meiner Pläne hatte mein Mann einen schweren Unfall, und ich verbrachte den letzten Monat damit, ihn in den USA zu betreuen, dann mit ihm zurückzufliegen, Verbände zu wechseln, furchterregende Wunden zu versorgen, Ärzte aufzusuchen und ihn schlussendlich wieder ins Spital eingewiesen zu haben. Seither versuche ich, unsere Familie, Spitalbesuche und meine eigene innere Gesundheit auf die Reihe zu bringen.
Soweit zu den „Äußerlichkeiten“. Darunter liegen ständige Sorge, Hoffnung, Gebet und das Gefühl völliger Überforderung vor allem beim Miterleben der andauernden starken Schmerzen meines Mannes. Schlaflose Nächte und tränenreiche Tage begleiten das Gefühl, in eine völlig neue, ungewollte Welt gestürzt worden zu sein.
Nicht unbedingt, was ich mir vorgestellt hatte.
Von herausragender Wichtigkeit waren im letzten Monat die Unterstützung und Gebete unserer Familie und Freunde. Dabei spürte ich oft eine mir sehr bekannte Unsicherheit durch Nachrichten sickern, die ich erhielt: "Mir fehlen die richtigen Worte," oder: "Ich will keinen billigen Trost spenden". Es sind dieselben Unsicherheiten, die in mir aufkommen, wenn ich vom Unglück eines anderen Menschen höre.
Einige Freunden hingegen drückten uns ihre Überzeugung aus, dass „etwas Gutes aus dieser Situation entstehen wird“. Eine mutige Aussage gegenüber jemandem, der inmitten von Schmerz und Überforderung steht. Und von den einen war es vielleicht kaum mehr als ein wohlgemeinter Spruch.
Doch andere verkündeten dies mit einer ruhigen Sicherheit, die mir vom Bildschirm, Telefon oder ihrem Gesicht entgegensprang. Hier handelt es sich nicht um lockere Sprüche, sondern um tief erlebte Wahrheit. Hier sind Menschen, die von einem großen Schatz weitergeben, den sie in ihrem Leben erhalten haben. Sie wissen, dass keine zwei Tragödien vergleichbar sind. Und doch glauben sie fest daran, dass in jeder Tragödie ein realistisches Potential zum Guten steckt.
Vieles, dem wir in unserem Alltag begegnen, wird in der Theologie mit erstaunlicher Präzision (und schwierigen griechischen Wörtern) ausgedrückt. Apokatastasis ist unser „Wort des Tages“—die Wiederherstellung aller Dinge. Es wird für Heilskonzepte gebraucht, aber auch allgemeiner für die Vorstellung, dass einmal alles wieder zum Guten gewendet wird, und dass bei Gott nichts verschwendet wird. Dass kein Schmerz, keine Tränen und kein Verlust umsonst war. Die mittelalterliche Mystikerin Juliana von Norwich—eine Frau, die mit dem Leiden intim vertraut war—drückte dies mit den berühmten Worten aus: „Alles wird gut sein und alle Menschen werden wiederhergestellt werden und aller Art Dinge wird vollkommen werden.“ (Verschiedene Übersetzungen möglich—die englische Originalaussage ist "All shall be well and all shall be well and all manner of thing shall be well").
Diese Worte begleiten mich schon seit Jahren, denn ich spüre: Mein Herz sehnt sich danach, dass dies wahr ist—dass diese Welt einmal ein sinnerfülltes, liebevolles Finale erleben wird, in dem nichts verschwendet wurde. Kein oberflächliches Hollywood-Ende. Vielmehr ein geschicktes und barmherziges Zusammenbringen aller losen Enden dieses leidenden Planeten. Ein Umdrehen der chaotischen Rückseite und Entdecken der perfekten Vorderseite des Lebensteppichs, dessen Weben wir im Alltag oft gar nicht wahrnehmen.
Gleichzeitig lebe ich in einer Welt, deren Zerbrochenheit mir jeden Tag entgegenschreit—nicht nur heute, wo Schmerz und Leid mein persönliches Leben aus dem Ruder wirft. Sie schreit mir auch entgegen durch Kriege, Ungerechtigkeit und Grausamkeit, durch Verschwendung und Geiz und Lieblosigkeit. Darum kann ich nicht sorglos Schlüsse ziehen, die mein Herz nicht zu tragen vermag. Ich kann kein Happy End verkünden, wenn ich, seien wir ehrlich, keine Ahnung habe, wie das alles ausgehen wird und wie lange wir ausharren müssen.
Stattdessen glaube ich, dass wir der Apokatastasis unseres eigenen Lebens auf dieselbe Art begegnen dürfen, wie der Nobelpreisträger John Steinbeck sein Wirken beschrieb:
„Es gibt Seegetier von so heikler Beschaffenheit, dass es einem unter den Händen zerbricht oder zerrinnt, wenn man es fangen will. Man muss ihm Zeit lassen, bis es von selbst auf die Klinge kriecht, die man ihm hinschiebt, und es dann behutsam aufheben und in einen Behälter mit Meerwasser gleiten lassen. Auf ähnliche Art muss ich wohl dieses Buch schreiben: die Blätter hinlegen und es den Geschichten überlassen, darüber hinzukriechen.“
Ich will Davids Unfall keinen Sinn, keinen Wert abwürgen. Ich will nicht einfach behaupten, dass Gutes daraus entstehen wird. Mit solchen Übungen würde das heikle Getier namens "Hoffnung auf die Wiederherstellung aller Dinge" in meinem Leben unter meinen Händen zerbrechen. Stattdessen will ich die Klinge meines Leidens, meiner Frustration und meiner Angst ausstrecken und Apokatastasis langsam hinaufkriechen lassen.
Und eines Tages werde ich vielleicht zu denen gehören, die vom Guten sprechen, das von unserem Leiden kommt. Und vielleicht werde ich damit andere ermutigen können, ihre Klinge hinzuhalten, damit die Hoffnung in ihrer eigenen Zeit darauf hinaufkriechen kann.
Auszug von John Steinbeck, Straße der Ölsardinen
Linda Shrake says
Beautifully written. You have a God given gift with words. Inspiring! Thank you.
Judith Forgoston says
Thank you, Linda!♥️
Ruedi Stähli says
Liebe Judith
Herzlichen Dank für diese wunderbar balancierten Worte! Das Bewegen zwischen Anerkennen und Benennen von sinnlos Schlimmem und gleichzeitig hoffen, darin trotzdem einen Sinn (oder gar etwas Gutes zu entdecken), erlebe ich als grosse Herausforderung. Die Hoffnung auf Apokatastasis ist ebenfalls ganz tief in meinem Herzen drin. Ich wüsste nicht, wie ich ohne sie leben könnte in dieser schmerzvollen und so oft ungerechten Welt. Danke für das Bild vom umgekehrten Teppich. Das kannte ich noch nicht und spricht mich sehr an!
Judith Forgoston says
Danke für deine lieben Worte. Ja, du musst diese Spannung ja fast täglich in irgendeiner Form aushalten in deinem Beruf. Das bewundere ich sehr.
Das mit dem Teppich ist wirklich faszinierend. Die Rückseite sieht, v.a. bei handgewobenen Teppichen, oft wie ein heilloses Chaos aus, aus dem man sich niemals etwas Schönes erhoffen würde… ausser man kennt sich mit Teppichen aus!😉
Hartmann Ursula says
Liebe Judith, Ganz herzlichen Dank für deine guten Worte. Ich denke immer wieder an euch. Ich hätte gerne ein sorgloses, gutes Leben. Aber das ist nicht möglich. Wir werden durchgeschüttelt und durchgerüttelt. Trotzdem glaube ich fest daran, dass wir in Gott geborgen sind und alles gut kommen wird. Ich glaube einfach daran.
Herzliche Grüsse Ursula
Judith Forgoston says
Danke, Ursula. Man spürt diese tiefe Gewissheit in dir.
Patty Stokes says
Judith,
Wow! I am blown away by what happened to David and to your whole family after seeing you both recently so healthy and full of joy. I don’t know the extent of his injuries but as you have shared it sounds very serious. My heart goes out to you both and my prayers are for David’s complete healing and for patience and peace as you guys work your way through this difficult time. Love you both!
Judith Forgoston says
It was extensive but thankfully nothing that won’t heal. I didn’t have the energy to share with many people. But he is on the mend and we’re just thankful for all the wonderful people who help him get better. It’s a privilege and I definitely have a new appreciation for people working in the medical field.
Peri says
What a beautiful way to think about what happened. You don’t have to figure out the “meaning” as you continue on your journey, making your way through what surely looks like a detour off the main path–certainly an unexpected one. You just push forward, taking the next right step, doing what must be done, but trusting all the way in your Father who loves you perfectly.
Sending love and wishing David a good recovery, relief from the unrelenting pain, and a deeper experience of that love.
Judith Forgoston says
Thank you Peri – and of course we both know where I first learned about the concept of Apokatastasis; only one of many wonderful things I’ve learned from Brian and you. ♥️
Wade Gray says
This is really good, Judith. What strikes me most is your refusal to rush to simplistic consolations or facile conclusions. Instead, you grapple with the reality of suffering, acknowledging its depth and complexity. This is not about forcing meaning upon David’s accident but about allowing the possibility of restoration to emerge organically, much like Steinbeck’s delicate handling of marine life. Your analogy of letting hope crawl gently onto the blade of pain is both poignant and powerful.
Judith Forgoston says
Thank you, Wade. Yes, that passage from Steinbeck has followed me for many years; I think his metaphor is applicable to so many experiences in life.
Papi says
Hoi Judith
Gerne lese ich deine Gedanken und ja das Wort ἀποκατάστασις kenne ich. Es gibt solche Momente im Leben, wo man tief einatmen muss um über ein Schicksalm hinwgzukommen und daraus stärker zu werden
Papi
Judith Forgoston says
Ich bin nicht erstaunt, dass du – sicher als einer der wenigen Leser – auch die griechische Schreibweise des Wortes kennst!😉 Und dir ist auch die tiefere Bedeutung bekannt aus deinem eigenen Leben ♥️.
Greg Nicholaides says
Dear Judith:
I can tell from your ‘Theology’ blog that our God is helping you sort through the various reaction options to David’s accident. I believe nothing that happens to or around us is actually accidental. As you said, God wastes nothing. I’ve been reminded recently that those who are “saved” are holy. Because we are those who have been set apart for God’s use. Of course it’s our nature to ask Him why when things like David’s accident occur. But He is the owner of why and our reaction needs to be grounded in faith, the kind of faith that the Apostle Paul invokes in Rom 8:28.
It was indeed a blessing to receive David’s text after he prayed the short prayer I sent to him. What a testimony to the power of prayer.
I am sure that our Father has marvelous plans for you, David and your children as His holy children.
Judith Forgoston says
Thank you for your thoughts, Greg. To trust God is definitely a lifelong endeavor, but one worth it at every turn.